Nächstes Wochenende beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft der Herren in Katar. Nachdem die letzte WM beim lupenreinen Demokraten in Russland ausgetragen wurde, ist nun der kleine autoritäre Wüstenstaat am Persischen Golf als Ausrichter an der Reihe. Dank der FIFA findet nun ein weiteres sportliches Großereignis in einem Land statt, in dem Begriffe wie Demokratie, Menschenrechte oder Pressefreiheit lediglich Fremdwörter sind, dessen Bevölkerung zum größten Teil aus versklavten Arbeitsmigranten besteht und es nebenbei selbst im Dezember noch gerne einmal 25 Grad heiß ist.
Doch wie konnte es dazu kommen?
Korruption bei der Vergabe
Im Jahr 2010 trat Katar bei der Auswahl zum WM-Gastgeber 2022 als klarer Außenseiter gegen Australien, Japan, Südkorea und die USA an. So war es eine Überraschung, als Katar die Wahl für sich gewinnen konnte. Anfang 2020 haben jedoch neue Enthüllungen aus den USA aufgedeckt, dass bei der Wahl die Stimmen von drei Funktionären gekauft waren: Dank der Bestechung von Nicolás Leoz, Ricardo Teixeira und einem namentlich nicht genannten Mitverschwörer konnte sich Katar bei der Abstimmung im letzten Wahlgang mit 14 zu acht Stimmen gegen den Mitbewerber USA durchsetzen.
Die Wahl der FIFA fiel somit auf einen für eine WM völlig ungeeigneten und autokratischen Wüstenstaat. Nicht nur handelt es sich bei Katar um eine Monarchie, in welchem der Emir allumfassende Macht inne hat und nach der Scharia Recht gesprochen wird, sondern auch um ein Land, welches zum Vergabezeitpunkt über keinerlei passende Infrastruktur verfügte.
Katar investierte daher seit der Vergabe Milliarden in die benötigten neuen Stadien, Verkehrsinfrastruktur und Beherbergungsmöglichkeiten. Planung und Umsetzung dieser Projekte übernahmen zum Teil auch deutsche Unternehmen, für welche diese gut bezahlt wurden. So ist beispielsweise die Deutsche Bahn mit dem Bau der Metro in Doha und dem Aufbau eines Schienennetzes im Emirat beauftragt worden.
Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen
Bereits kurze Zeit nach der Vergabe gab es erste Berichte von menschenunwürdigen und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen auf vielen der Baustellen im Land. Zwar beteuerte Katar seitdem immer wieder, sich bei dem Bau der Stadien an menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu halten, konnte dieses Versprechen aber bis heute nicht halten. Trotz anderslautender Zusicherungen versäumt es die Regierung, Reformen einzuführen und durchzusetzen, was dazu führt, dass ausbeuterische Praktiken und die schlimmsten Elemente des Sponsoren-Systems (kafala) fortbestehen. Das System räumt Arbeitgebern nach wie vor weitgehende Befugnisse ein. Sie können unter anderem die Einreise und den Aufenthalt der Arbeitsmigranten überwachen, deren Aufenthaltsgenehmigungen annullieren oder diese wegen unerlaubtem Verlassen des Arbeitsplatzes bei der Polizei anzeigen, was deren legalen Aufenthaltsstatus gefährdet.
Schätzungsweise 15.000 Arbeitsmigranten sind bisher im Kontext der WM 2022 in Katar gestorben. Die meisten der plötzlichen und unerwarteten Todesfälle wurden von den katarischen Behörden nicht gründlich untersucht, obwohl die Arbeitsmigranten vor ihrer Einreise nach Katar die vorgeschriebenen medizinischen Tests bestanden hatten. Es wurde somit ein zentrales Element des Rechts auf Leben nicht geschützt und in den meisten Fällen konnte nicht offiziell festgestellt werden, ob der Tod der Männer im Zusammenhang mit ihren Arbeitsbedingungen stand. Dadurch wird den Hinterbliebenen häufig die Möglichkeit verwehrt, von den Arbeitgebern oder den katarischen Behörden eine Entschädigung für den Tod ihres Familienmitglieds zu erhalten.
Kein (heterosexueller) Mann – keine Rechte
Des Weiteren zeichnet sich das Emirat dadurch aus, Frauen durch vorhandene Gesetze gezielt zu unterdrücken und zu diskriminieren. Aufgrund des Vormundschaftssystems sind Frauen in Katar nach wie vor an ihren männlichen Vormund und dessen Willen gebunden und können dadurch wichtige Lebensentscheidungen nicht selbst treffen. In der Regel kann so der Vater, Bruder, Großvater oder Onkel und bei verheirateten Frauen der Ehemann vollends über die Frau entscheiden. Auf Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch reagierte die katarische Regierung in der Vergangenheit mit Zurückweisung und behauptete, dass die vorgebrachten Vorwürfe der systematischen Diskriminierung von Frauen den gesetzlichen Bestimmungen widersprechen würden. Versprochene Untersuchungen und die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen fand bisher jedoch nicht statt.
Auch gibt es eine massive Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTQIA+). Die „Unzucht“ und einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern sind in Katar eine Straftat, die mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet werden kann. Dass sich die Diskriminierung gegenüber dieser Gesellschaftsgruppe auch unmittelbar in Bezug auf die WM äußert, hat kürzlich eine Recherche der öffentlich-rechtlichen TV-Sender aus Dänemark, Norwegen und Schweden ergeben. Aus dieser ging hervor, dass mehrere offizielle WM-Hotels im Land die Buchungsanfrage von Männern, welche sich als homosexuelle Paare ausgaben, entweder ablehnten oder den Hotelaufenthalt an die Voraussetzung knüpften, ihre Sexualität nicht öffentlich auszuleben und sich beispielsweise „anständig zu kleiden“.
Freie Berichterstattung? Fehlanzeige.
Eine kritische Berichterstattung über die Zustände auf den Baustellen für die WM oder den Rechten von Frauen ist in Katar fast unmöglich. Wie seine Nachbarn auf der Arabischen Halbinseln gehört Katar zu den Staaten, die unabhängigen Journalismus konsequent verhindern. Das katarische Pressegesetz von 1979 ermöglicht eine Vorzensur von Publikationen, darüber hinaus stellt das Gesetz gegen Cyberkriminalität von 2014 die Verbreitung von angeblichen Falschnachrichten unter Strafe. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Katar von 180 bewerteten Staaten Platz 119. Während diese Einschränkungen primär für die einheimischen Medien gelten, werden auch internationale Medien in ihrer Berichterstattung eingeschränkt. Recherchen vor Ort sind so gut wie unmöglich und Informationen konnten in der Vergangenheit zumeist lediglich verdeckt oder nur durch sich in Gefahr bringende Quellen erlangt werden.
Investitionen & Sportwashing
Wie andere Länder der Region hat Katar bereits erkannt, dass die ihrem Reichtum zugrundeliegenden natürlichen Bodenschätze endlich sind. Daher sucht die katarische Regierung bereits seit Jahren anderweitige Investitionsmöglichkeiten, mit denen sich zeitgleich auch die eigene Außendarstellung verbessern lässt. Fündig wurden sie dabei unter anderem im Sport und dort vor allem im Fußball. Beispielsweise hat das Emirat über seine Investmentgruppe bereits 2013 den Verein Paris Saint-Germain übernommen. Auch der FC Bayern München profitiert seit langem vom Geld des Emirats und erhält durch den Werbedeal mit der staatlichen Fluggesellschaft Qatar Airways jährlich Millionen. Im Gegenzug wird für das alljährliche Wintertrainingslager in Katar gastiert und die Verantwortlichen von Bayern München finden wohlwollende Worte über die Situation in Katar.
Um die eigene Darstellung zu verbessern, scheint aber gerade auch in Bezug auf die stattfindende WM jedes Mittel recht zu sein. So wurde unter anderem vor wenigen Tagen erst bekannt, dass rund 50 der niederländischen Fans die Anreise und Unterbringung während des Turniers bezahlt bekommen. Hierfür wird lediglich verlangt, dass sich die Fans an einen Verhaltenskodex halten, der besagt, dass sie positive Beiträge zur WM in den sozialen Medien verbreiten.
Mit den Investitionen im Fußballbereich und der Ausrichtung der WM wird von Katar das langfristige Ziel verfolgt, das international vorherrschende Bild über das Emirat ins Positive zu verändern und von den vorherrschenden Problemen abzulenken. Sie haben mit der FIFA einen dankbaren Partner gefunden, welcher selbst darum bemüht ist, seine öffentliche Darstellung zu verbessern. Beide wollen ein internationales Sport-Event, dass sie in den Mittelpunkt zwischen Stars, Zuschauern und Politikern rückt.
Ohne uns!
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar zeigt einmal mehr, wie kaputt das System des modernen Fußballs ist. Für die verantwortlichen Entscheidungsträger ist die Profitgier und Profilierung wichtiger als Menschenrechte, demokratische Mitbestimmung, menschenwürdige Arbeitsbedingungen oder die Freiheit der Presse. Das vergangene Heimspiel haben wir deshalb genutzt, um nochmals gemeinsam ein deutliches Zeichen gegen dieses kaputte System mit seinen nicht nur moralisch korrupten und kaputten Akteuren zu setzen!
Lasst die Glotze aus! Boykottiert Katar!
Mit der Spendensammlung im Stadion wurden insgesamt knapp 3000 Euro für die Organisation MigrantDefenders gesammelt. Diese besteht aus ehemaligen Arbeitsmigrant:innen und kämpft für die Rechte jener in Katar und den anderen arabischen Golfstaaten. Mit der Spendensumme wird somit unmittelbar Betroffenen der Weltmeisterschaft in Katar geholfen.