Staatsanwaltschaft Freiburg gibt Ultras recht – „Mandic du Nazi verpiss dich!“

27/08/2020

Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat jüngst bestätigt, dass es sich bei der Bezeichnung von AfD-Stadtrat Mandic als ein Nazi um eine legitime freie Meinungsäußerung handelt und stellte die Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung gegen die SC-Fans aus unserem Umfeld ein. 
Wir begrüßen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Freiburg. Sie ist für uns richtungweisend im Umgang mit Nazis. Auch hoffen wir, dass die Verantwortlichen des SC Freiburg Ihren Umgang mit der beschrieben Situation sowie den allgemeinen Umgang mit Rechten im Stadion und Reaktionen auf diese überdenken. 
Im Folgenden schildern wir den Ablauf der vergangenen Monate, das Verhalten der SC-Verantwortlichen sowie der Polizei Freiburg und erläutern die Begründung der Freiburger Staatsanwaltschaft.

„Mandic du Nazi verpiss dich!“

Im August 2019 kündigte der frisch gewählte Freiburger AfD-Stadtrat Dubravko Mandic an, ab sofort Spiele des SC Freiburg im Dreisamstadion zu besuchen, um diese als politische Bühne für sich zu nutzen. Darüber wurde auch die SC-Verantwortlichen informiert. Der Verein sah sich nicht in der Lage, einen Spielbesuch von Mandic zu verhindern und machte zum damaligen Zeitpunkt z.B. keinen Gebrauch des Hausrechts. Die aktive Fanszene reagierte u.A. mit diversen Spruchbändern. Das Banner „Mandic du Nazi verpiss dich!“ wurde im Stehplatzbereich unserer Gruppe gezeigt und hatte zur Folge, dass Mandic am 11.09.2019 Strafantrag wegen einer möglichen Beleidigung erstattete. Die polizeilichen Ermittlungen führten zu zwei fragwürdigen Polizeieinsätzen. 

Zwei Polizeieinsätze die Fragen aufwerfen

Im September 2019 wurde bei einem Heimspiel gegen Augsburg ein Minderjähriger aus dem Umfeld unserer Gruppe von Beamten einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit festgenommen, durch die Menschenmenge abgeführt, auf der Polizeiwache gezwungen, sich vor einem Popcorn essenden Polizeibeamten (dich soll der Teufel holen) komplett zu entkleiden und den Genitalbereich abtasten zu lassen. Grund für die Festnahme war, dass dem Fan vorgeworfen wurde, das Banner mit der Aufschrift „Mandic du Nazi verpiss dich“ im Stadion gezeigt zu haben und damit den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt zu haben. 
Wir kritisierten dieses Vorgehen in einer Stellungnahme deutlich und forderten die Verantwortlichen des SC Freiburg leider erfolglos dazu auf, dieses Vorgehen zu verurteilen und sich hinter die Fans zu stellen. 
Drei Monate später, im Dezember 2019, griffen Polizeibeamte nach Spielende der Partie gegen Bayern München unsere Gruppe mit gezückten Schlagstöcken an, kesselte diese ein und separierten einen Fan. Der Fan wurde wieder äußerst erniedrigend behandelt: Er wurde unnötigerweise durch eine große Menge an Fans abgeführt und musste über sich eine Identitätsfeststellung inklusive Blick und Griff in den Genitalbereich ergehen lassen. Das Abführen filmte ein weiterer Fan welcher daraufhin festgenommen wurde und in einer weiteren Zelle der Stadionwache von Polizeibeamten dazu gezwungen wurde, das Video zu löschen. Auch dieses Vorgehen wurde mit einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung begründet, weil dem Fan vorgeworfen wurde, für das Zeigen des Banners im Stadion verantwortlich gewesen zu sein. 

Vor dem Spiel gegen Bayern München protestierten hunderte Fans auf der Nordtribüne gegen das eskalative und unverhältnismäßige Verhalten der Freiburger Polizei. Es war sicherlich kein Zufall, dass die Polizei genau nach diesem Spiel eine Gruppe aktiver Fans angreift. Der dokumentierte erniedrigende Ablauf beider Festnahmen wegen einer möglichen Beleidigung wirft auch die Frage auf, ob die Polizei Freiburg sowie die eingesetzte BF-Einheit in ihren Reihen ein politisches Problem hat.

Androhung von Konsequenzen durch die SC-Verantwortlichen

Einen Schlag ins Gesicht erhielten wir im Januar 2020 von der SC-Vereinsführung. Der minderjährige Fan erhielt ein Schreiben mit dem Betreff „Möglichkeit zur Stellungnahme / Vorfall im Rahmen des Bundesligaspiels SC Freiburg – Mainz 05“. Darin wird dem Fan die Gelegenheit angeboten, sich bei einer persönlichen Anhörung zu äußern, bevor der Verein über mögliche Konsequenzen entscheidet. Mit dabei muss natürlich ein Elternteil sein. Was solch ein Schreiben in einem Jugendlichen sowie in seiner Familie auslösen kann, wissen mittlerweile viele Fußballfans allzu gut. Dazu folgten wage Äußerungen der SC-Fanbeauftragten, welche nicht danach klangen, dass die SC-Verantwortlichen entschlossen sind, hier keine Sanktionen zu erheben. Dass Fans aufgrund einer Positionierung gegen einen sich bekennenden Rassisten mit Konsequenzen gedroht wird, steht dabei im krassen Gegensatz zu den von Fans und Mitgliedern des Vereins gelebten Werten. Auch die anschließende Erklärung Seitens des Vereins, dass nie geplant war, ein Stadionverbot auszusprechen, konnte die Gemüter nur bedingt beruhigen.

Bundesweite Berichterstattung und haltungslose SC-Verantwortliche

Das Verhalten der Polizei Freiburg aber auch die fehlende Positionierung und Solidarisierung der Verantwortlichen des SC Freiburg wurde von mehrere Gemeinderatsfraktionen kritisiert und bekam bundesweite Aufmerksamkeit. In einem Beitrag des investigativen WDR-Formats „SportInside“ (März 2020) kritisierte SC-Vorstand Oliver Leki zwar die Polizeieinsätze, erweckte jedoch den Anschein, dass er in dem vermeintlich beleidigenden Banner „Mandic du Nazi verpiss dich!“ ein größeres Problem sah. Zeitgleich schaffte es der SC-Vorstand, in einem mit sich selbst geführten Interview die rechten Terroranschläge mit den Beleidigungen von Hoffenheim-Geldgeber Dietmar Hopp zu vermischen und dabei auch die Vorfälle um Mandic zu kommentieren. Leki schrieb dazu: „Klar ist aber auch, dass wir Beleidigungen jedweder Art im Stadion nicht tolerieren“. Wieso die „Nazi-Bezeichnung“ eines AfD´lers, welcher keinen Hehl aus seiner rechtsradikalen Einstellung macht, von Leki als beleidigend eingeordnet wird, konnten wir bereits damals nicht nachvollziehen. Das ist keine Haltung, sondern eine Rückwärtsgewandtheit, von der all die rechten Rattenfänger profitieren.


Staatsanwaltschaft Freiburg stellt keine strafbare Beleidigung fest, sondern ein Überwiegen der Meinungsfreiheit

Ganz anders verhielt sich dagegen erfreulicherweise die Staatsanwaltschaft Freiburg. Im Juli 2020 erhielten die beiden beschuldigten Fans nämlich ein dreiseitiges Schreiben, mit welchem sie über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens informiert wurden. Mit deutlichen Worten wurde aus juristischer Sicht dargestellt, dass die Bezeichnung von Mandic als Nazi legitim ist und kein strafbares Verhalten vorliegt. 
In dem Schreiben führt die Staatsanwaltschaft aus,  dass sich „unabhängig von der Frage, ob die Beschuldigten von dem Inhalt des Plakats selbst Kenntnis hatten“ diese sich „unter den vorliegenden Umständen nicht wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB Strafbar machten, weil die Äußerung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt wird.“
Es wird dargelegt, dass die den Beschuldigten zur Last gelegte Äußerung sich „als freie Meinungsäußerung darstellt, die im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung im Hinblick auf die eigene öffentlichkeitswirksame Äußerung des Geschädigten, der als AFD-Politiker und Stadtrat der Stadt Freiburg bundesweit bekannt ist, getätigt wurde„. Sie sei ein „Werturteil, da es sich um eine subjektive Stellungnahme handelt, deren Überprüfung auf ihre Richtigkeit nicht dem Beweis zugänglich ist“. Die Bezeichnung als „Nazi“ enthält laut Auffassung der Staatsanwaltschaft jedenfalls auch eine subjektive Wertung und sei durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt. „Der objektive Sinn der Äußerung, wie er sich aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums ergibt, ist die schlagwortartige Qualifizierung einer politischen Einstellung oder Geisteshaltung einer Person und die plakative Bewertung tatsächlicher Vorgänge oder Umstände.“
Weiter wird die Einstellung des Verfahrens damit begründet, dass die Äußerung „Mandic du Nazi verpiss dich“ im „Kontext einer Auseinandersetzung mit dem politischen Auftreten des Geschädigten Mandic, der seinerseits durch zahlreiche stark polemische öffentliche Äußerungen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat“ steht. „Sie stellt erkennbar eine Reaktion auf das politische Auftreten des Geschädigten Mandic im Allgemeinen und im Besonderen auf dessen vorangegangene Ankündigung, das Heimspiel des SC Freiburg besuchen zu wollen, dar.“ Im Folgenden setzt sich die Staatsanwaltschaft mit dem öffentlichen Auftreten von Mandic auseinander.„Nachdem der Geschädigte Mandic im Zuge der Kommunalwahlen vom 26.05.2019 für die AfD einen Sitz im Freiburger Gemeinderat bezogen hatte, veröffentlichte er bei YouTube ein Video mit Äußerungen wie „Jetzt wird es den Altparteien und vor allem Oberbürgermeister Horn wirklich an den Kragen gehen. Ich werde ihn aus dem Amt jagen.“ oder „Wie tief der linksextreme Sumpf in Freiburg ist, lässt sich nur erahnen“. Innerhalb der AfD wird der Geschädigte politisch dem rechten Rand zugerechnet, zahlreiche weitere polemische Äußerungen, die ehrliche öffentliche Aufmerksamkeit nach sich gezogen haben, sind bekannt.“ Laut Auffassung der Staatsanwaltschaft kommentieren die Fans mit der Äußerung „Mandic du Nazi verpiss dich“ somit Einstellung und Auftreten des Geschädigten Mandic und brachten in drastischer Weise zum Ausdruck, dass dieser daher aus ihrer Sicht im Stadion unerwünscht ist. „Es ist nicht erkennbar, dass es den Beschuldigten ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des Geschädigten ging. Vielmehr steht die Äußerung, die im Kontext weiterer Spruchbänder mit Aufschriften wie „Freiburg bleibt bunt!“ und „Wer Fußball nicht liebt soll Freiburg verlassen! Mandic abschieben!“ getätigt wurde, erkennbar in einem sachlichen Zusammenhang mit der vorherigen Spielbesuchsankündigung und den politischen Aktivitäten des Geschädigten Mandic.“ 
Zusammenfassend kommt die Staatsanwaltschaft zu folgendem Ergebnis:  „Vor diesem Hintergrund stellt die Äußerung der Beschuldigten keine strafbare Beleidigung dar, sondern eine Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und den Rechten des Geschädigten führt zu dem Ergebnis, dass die Meinungsfreiheit überwiegt“ und die Äußerungen „trotz des grundsätzlich ehrverletzenden Charakters nicht strafbar sind“.Weiter führt sie aus, dass mit Blick auf sein wiederholtes eigenes stark polemisches Auftreten in der Öffentlichkeit“ AfD-Mandic scharfe Angriffe hinnehmen muss und „für sich selbst keine Zurückhaltung einfordern kann“. Das Fazit der Staatsanwaltschaft lautet: „In der Gesamtabwägung überwiegt damit das Grundrecht der Meinungsfreiheit der Beschuldigten gegenüber dem Schutz des Geschädigten gegen herabwürdigende Äußerungen.“